Es war eine schwierige Zeit, genau wie heute, wenn auch aus anderen Gründen. Aber wie sie und viele andere uns immer wieder erinnern: Es ist wichtig, nach vorne zu blicken und niemals aufzugeben. „Ich tue weiterhin, was ich schon immer getan habe, trotz dem ersten und dem derzeitigen Lockdown“, erklärt sie. „Ich bin eine Schriftstellerin, also bin ich außer, wenn ich auf Reisen bin, zu Hause, um zu lesen, zu lernen und zu schreiben, und mich, wie jetzt, mit Leuten zu unterhalten.“ „Wenn der Akku leer ist, hat man zwei Möglichkeiten: man kann einen Spaziergang machen oder schlafen gehen“, fügt sie hinzu. Auch wenn wir schlafen, arbeitet unser Geist weiter für uns, selbst wenn wir uns dessen nicht bewusst sind – und wir haben eine Pause von allen unseren Problemen. Wenn man wieder aufwacht, kann man nach Antworten suchen. Manchmal funktioniert das nicht, aber das ist okay. Auch Unsicherheiten sind wichtig für unser Leben.“
Die Intuitionen von Atwood, einer preisgekrönten Schriftstellerin und Visionärin, grenzen oft an Prophezeiungen. Als leidenschaftliche Tarot-Enthusiastin erinnert sie uns daran, dass das 18. Arkanum dem Mond gewidmet ist und eine Zeit der Unsicherheit anzeigt. „Der Mond ist abweisend und kann einen täuschen, aber als Arkan ist er weder negativ noch positiv“, erklärt sie. „Vielmehr weist er etwaige Hindernisse oder Vorteile bestimmter Lebensabschnitte auf.“ Der Mond erzählt uns also von all den Einflüssen, die hinter Tatsachen und Situationen stehen und die manchmal sogar mächtiger sind als das, was wir unmittelbar sehen. „Wenn er in einer Tarot-Legung auftaucht, denken Sie daran, dass Sie hinter die Äußerlichkeiten schauen müssen, um zu verstehen, was zu tun ist.“ Und das sollte immer eine Lebensregel sein. „Der Mond lehrt uns, dass das, was man nicht sehen kann, wichtiger sein kann als das, was wir glauben, vor Augen zu haben.“ Er ist verbunden mit „weiblicher Energie und Intuition“, erinnert sich die Autorin, sowie mit den biologischen Rhythmen des Wassers, den Gezeiten, den weiblichen Zyklen und dem Übergang vom Leben zum Tod. Er reflektiert das Licht der Sonne und führt uns in eine Nacht, in der er dann selbst die Dinge erleuchtet. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass die Welt des Mondes „auch die Welt der Träume, der Vorstellungskraft und des Unbewussten ist“. Der Mond zeigt nur ein Gesicht. Aber der Teil, der unsichtbar bleibt, „ist sicherlich der wichtigste, denn er symbolisiert alles Verborgene und vor allem das Geheimnis der Seele.“ Atwood erinnert uns an die Zeilen aus dem Lied „O Fortuna“ der Carmina Burana: „Wie der Mond dort oben, so veränderlich bist du.“ Sie liebt die poetischen Texte der Carmina Burana, die sowohl bei denen, die ihnen lauschen, als auch denen, die sie vortragen, eine geradezu mystische Erfahrung ins Leben erwecken kann.
Mondähnlich ist auch die intime Landschaft, die sie in „Machtpolitik“ beschreibt, einer kurzen, aber wertvollen Sammlung von Gedichten aus dem Jahr 1971. Eine vollständige deutsche Übersetzung dieses Werks gibt es leider nicht, aber einige der Gedichte aus dieser Zeit haben ihren Weg in die kürzlich übersetzte Sammlung „Die Füchsin“ gefunden.
„Ich liebe dich in Fächern und wenn du arbeitest“, schreibt sie in einem dieser Gedichte. Ein Motto, das wir uns sofort zu eigen gemacht haben. Atwoods Stimme zeugt von Treue, Ehrlichkeit und Freiheit von der Begrenzung der Zeit. Sie verdichtet Innerlichkeit und Geschichte in der Begegnung/dem Aufeinandertreffen von Mann und Frau, Menschen, die allein genug sind, aber sich in ihrer Zusammenkunft gegenseitig ergänzen und helfen können. In einem anderen Gedicht schreibt sie: „Ich nähere mich dieser Liebe/wie ein Biologe/der seine Gummihandschuhe und seinen weißen Laborkittel anlegt.“ Beim Lesen dieses Satzes kommt uns unweigerlich in Erinnerung, dass Atwood in erster Linie Biologin und eine Vorreiterin der heutigen Generation von Umweltschützern wie Greta Thunberg ist (und das schon seit den 1970er Jahren). Es ist ihr ein großes Anliegen, sich für die Umwelt einzusetzen, „weil sie uns die drei grundlegenden Dinge garantiert, die wir brauchen: Luft, Wasser und Nahrung.“ „Ja, ich bin Umweltschützerin und Feministin, aber – so betont sie, bevor wir uns verabschieden – ich verlasse mich nicht vollständig auf Künstler oder Wissenschaftler. Wenn man in der Politik eine Führungsrolle einnehmen möchte, muss man sie zu Rate ziehen wissen, aber dann auch entscheiden, seinen eigenen Weg zu gehen.“ Dabei merkt sie auch an, dass sie sehr froh ist, dass Trump die letzten Wahlen verloren hat. „Wir brauchen kreatives Denken“, fügt sie hinzu, denn die Kunst kann uns mehr denn je helfen, den Weg zurück zu einer Zukunft zu finden, in der Licht und Schatten miteinander koexistieren und gedeihen können. „Heute beziehen sich alle Künstler und nicht nur sie auf das Internet. Ohne das Internet wissen wir nicht weiter. Es hat uns verbessert, aber im Laufe der Jahre hat sich die Nutzung stark verändert und es wimmelt nur noch von Pornos, Fake News und politischen Statements. Es hat sich seit der Zeit, in der es entwickelt wurde, zu etwas ganz anderem entwickelt. Wir müssen bedenken, dass wir bei Erfindungen, die größer werden als wir selbst, Gefahr laufen, die Kontrolle zu verlieren, was zu Fehlern führen kann. Die Geschichte lehrt uns dies. Denken Sie an die primitiven Menschen, die das Feuer entdecken: Wenn man nicht aufpasst, kann man sich verbrennen. Das gilt auch heute noch. Deshalb sollten wir bei allem, was wir tun, ein gewisses Maß an Vorsicht walten lassen.“