Für Marc Randolph und Reed Hastings, damals Kollegen bei der Softwareentwicklungsfirma „Pure Atria“ im Silicon Valley, war es ein ganz normaler Fahrgemeinschaftstag im Januar 1997. Hastings war CEO, Randolph der Vice President of Marketing. Das Softwareunternehmen stand kurz vor einer Übernahme, wodurch sowohl Randolph als auch Hastings bald arbeitslos sein würden. Der damals 37-jährige Hastings plante, wieder an die Uni zu gehen, um zu studieren, während der damals 39-jährige Randolph die Idee auf den Weg bringen wollte, die bald die Welt erobern würde. An diesem Januartag schlug Hastings während ihrer 1,5-stündigen Fahrt von Santa Cruz ins Valley vor, die unwahrscheinlichsten Ideen zu erarbeiten und zu erörtern. Eine dieser Ideen war „Netflix“, heute nach Umsatz das sechstgrößte Internetunternehmen der Welt mit über 15,7 Milliarden Dollar (Stand 2018). Netflix hat sich von einem Filmverleih zu einem Streaming- und Produktionsunternehmen für preisgekrönte Eigenproduktionen entwickelt und hat weltweit rund 151 Millionen Abonnenten, Tendenz konstant wachsend.
Können Sie uns sagen, wie alles begann?
MR: Da wir beide kurz vor der Arbeitslosigkeit standen, sagte ich, dass ich bereit sei, mein nächstes Unternehmen zu gründen, und Reed, der Unternehmer, antwortete: Wir werden eine großartige Idee finden, du kannst sie managen und ich werde sie finanzieren. Über die nächsten sechs Monate, während der Fahrten zwischen zu Hause und dem Büro, schlug ich eine Reihe extravaganter Ideen vor, wie beispielsweise maßgeschneiderte Sportartikel, Surfbretter, Baseballschläger und dann Shampoos, Zahnpasta und Hundefutter. Reed antwortete immer: Das wird nie funktionieren.
Dann haben Sie per Post einen Film verliehen...
MR: Ab einem Morgen haben wir uns in Santa Cruz zum Kaffee hingesetzt und über die Möglichkeit gesprochen, eine DVD in einem Umschlag zu verschicken. Also gingen wir in ein Musikgeschäft, kauften eine CD und schickten sie mit einem Prioritätsbriefstempel „Erste Klasse“ an Reeds Adresse. Als sie intakt ankam, stellten wir fest, dass wir auf etwas Interessantes gestoßen waren.
Silicon Valley liebt diese typische unternehmerische Geschichte, die aus brillanter Intuition hervorgeht, die Idee, die alles verändert, das Licht, das einem mitten in der Nacht aufging. War das bei Netflix auch so?
MR: Es gibt einen weit verbreiteten Mythos um Netflix. Angeblich hatte Reed die Idee, nachdem er für die verspätete Rückgabe von „Apollo 13“ bei Blockbuster eine Strafe von 40 Dollar gezahlt hatte. Dass er sich fragte: „Was wäre, wenn es keine Strafen mehr für eine verspätete Abgabe gäbe?“ und Boom: Die Idee Netflix war geboren. Aber es war kein nützlicher, perfekter Geniestreich, den wir plötzlich hatten. Aha-Erlebnisse sind selten. Und wenn sie zu Erfolgsgeschichten führen, sind sie fast immer zu stark vereinfacht oder völlig falsch. Wir mögen sie, weil sie das romantische Konzept von Inspiration und Genialität speisen. Wir stellen uns gerne Isaac Newton vor, der unter dem Baum sitzt, wenn der Apfel hinunter fällt, oder wie Archimedes in der Badewanne sitzt. Aber die Wahrheit ist normalerweise komplizierter. Die Wahrheit ist, dass es für jede gute Idee tausend verrückte gibt. Und manchmal kann es schwierig sein, den Unterschied zu erkennen. Wir müssen uns vor Aha-Erlebnissen hüten.